I tried to tell you

Marc Chagall, @CC


***Kurze Lesung (5 Min.) ab 3. Satz: "Ich weiß nicht einmal genau ..."

Da sitzt du, wie ein lässiges Tier, vor mir auf deinem blauen Sessel, der überhaupt nicht dein Sessel ist, sondern mir und nun uns gehört, denn wir teilen inzwischen alles, was wir haben. Der Sessel aber gehört inzwischen eigentlich nur dir, kraft der Würde deiner unwiderstehlichen Selbstverständlichkeit, mit der du dich auf ihn wirfst, es dir zwischen seinen Lehnen und seinem Rückenpolster so bequem wie möglich einrichtest, die Beine weit von Dir gestreckt, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, ein Buch in der Hand, eine Zeitung oder einfach mit nichts darin fläzend und trotz der lässigen Haltung, die sich nicht einmal minimal auf Knautschfalten am Hals oder elegante Haltung hin kontrolliert, siehst du natürlich wieder wirkungsvoll aus. ***Ich weiß nicht einmal genau, ob du dir bewusst bist, wie unwiderstehlich deine Wirkung auf andere ist, ich habe mich das manchmal gefragt, obwohl ich zunächst selbstverständlich davon ausgegangen bin, dass du um deinen Magnetismus weißt, aber es gab dann doch die eine oder die andere Irritation, die mich überlegen ließ, ob du gerade deshalb so selbstverständlich, in allem was du tust, zu dir selbst stehst, weil du dir gar nicht so viele Gedanken darum machst und eher wie ein Tier, bitte verzeihe mir diesen Vergleich, aber du weißt ja, dass Tiere für mich etwas ganz Wunderbares sind, schöne Wesen in ihrem So-sein und deine Ausstrahlung auf mich, nein, nein, lächele jetzt bitte nicht, mit deinem unfassbar mädchenhaften, belustigten Lächeln lächelst du mein Sprechen weg, unschlüssig auf deine, nun vor dir ausgestreckt gehaltenen, Fingerspitzen blickend. Dein ironisches, doch irgendwie mädchenhaft, unmittelbar auftauchendes Lächeln, das dein Männergesicht in ein anderes, ein zweites Gesicht zu verwandeln scheint, das mich dann gänzlich aus der Fassung bringt, gerade jetzt, da ich versuche, dir etwas Wichtiges zu sagen, etwas, das ich dir unbedingt sagen muss, obwohl es weh tun wird, es zu sagen und weil es weh tun wird, sehr weh sogar, was dann als Folge des Gesagten, meiner Worte also, unser Leben als Paar vollständig auf den Kopf stellen wird, und nun habe ich tatsächlich den Faden verloren, ich verliere mich mehr und mehr, wie du siehst und dazu dein Lächeln, wie du vor mir sitzt, die Beine jetzt übereinander geschlagen, eine Hand auf die Lehne gestützt, auf die andere deinen Ellbogen, mit der dazugehörigen Hand deine Schläfe abstützend, immer noch leger wie ein Tier, immer noch ganz frei und ohne Sorge, blickst du weiterhin lächelnd vor dich hin, versteckst dein Lächeln ein wenig hinter deinen schwarzen Strähnen, deinem Pferdehaar, das immer glänzt, wie die blauschwarzen Federn eines Vogels, einer Krähe, nein, entschuldige, natürlich nicht einer Krähe, es erinnert eher an, ach, das ist ja jetzt auch völlig unwichtig, ganz egal, was ich dir sagen möchte, hier, an diese weiß getünchte Wand gelehnt, sehr schutzbedürftig, schutzbedürftig vor dir, dieses Mal, schutzbedürftig, damit du mir nicht den Atem nimmst, bevor ich dir meinen Entschluss nahe bringen kann, so wie er nahe gebracht zu werden verdient, nämlich mit Ernst und Respekt, für diese, meine, tiefernste und tief schmerzende Entscheidung. Nun hast du, ich hätte es mir denken können, eine neutrale Miene aufgesetzt, um mir zu verstehen zu geben, dass du mich in jeder Faser meines Denkens, Sagens und Seins vollkommen respektierst und ich weiß natürlich auch, dass das so ist, du respektierst mich und hast mich immer respektiert und bist dir scheinbar immer so sorglos sicher gewesen, dass wir, also wir beide, wir zusammen, einfach gottgewollt und richtig sind, auch wenn du das niemals so pathetisch ausgesprochen hast, niemals so aussprechen würdest, sondern es mir eigentlich nur in jeder Minute unserer gemeinsam verbrachten Stunden, Tage, Wochen und nunmehr seit Monaten zeigst, indem du mit mir lebst, sprichst, liebst, streitest, isst, trinkst, schläfst, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres als dies. Wir sind frei füreinander, nennst du das, wir können atmen, wenn wir miteinander sind, das sind deine Worte, so ist sie, deine Ausdrucksweise, sonderbar und schnörkellos, doch deine Worte bringen genau das auf den Punkt, was im Raum liegt, so zwischen all dem, was unser gemeinsames Leben ist. Du sprichst von der Luft, in der wir uns miteinander bewegen und nicht, wie andere, über all die Dinge, die uns angeblich verbinden. Bitte, beginne jetzt nicht unruhig zu werden, du streichst ein wenig mit deinen bloßen Füßen über den Dielenboden, auf dem dein Sessel steht, den du jederzeit bereitwillig verlassen würdest, falls ich mich in ihn hinein schmiegen wollte, um dich dann noch gemütlicher auf das Sofa zu betten, mit aufgestütztem Kopf und Neugier in deinen tiefblauen Augen. Oh Gott, wie soll ich dir das alles erklären, in Ruhe erklären, was in mir vorgeht, es begann mit einem Zitat von Vincent van Gogh, ich las es vor sehr kurzer Zeit, vor wenigen Minuten fast, auf der Heimfahrt in der U-Bahn, ich hatte gerade einen Sieg, einen unfassbaren Triumph, über die kleingeisternde Mobbing-Meute in meinem Grusel-Büro, in meinem schauderhaften Job-Interieur erlebt und schaute in ein Magazin, das ich mir heute, als Belohnung für diesen Streich, geleistet habe, so ein kunstvoll glänzendes Art-Magazin. Das erste, das ich aufschlug, war diese Seite, auf der das komplizierte Innenleben von van Gogh beschrieben wird, sehr interessant übrigens, toll geschrieben ist das, vom Dings, vom, du weißt schon, dem, der das neue Buch, das auf meinem Nachttisch liegt, ach, egal, das Zitat ist formatiert gewesen, formatiert wie ein Gedicht, warte, ich denke nach, jaja, ich hab´s, ich sag´s dir:

I thought
love
would
heal me
but it
hurt
me more

Und als ich diese berührenden Worte gelesen habe, da wusste ich auf einmal, da wusste ich eben plötzlich, dass nicht das Mobbing im Job mein Problem ist, sondern diese Liebe, diese unglaublich schöne, bereichernde, stärkende Liebe, die mir heute in diesem furchtbaren Büro, diesem Käfig, meine Sicherheit gegeben hat, dass all die Mühe und all die Raffinesse, mit der man versuchte, mich zu demütigen und zu zerstören, ja, ich sage es, zu ZERSTÖREN, dass diese Mühe jener Subjekte ganz umsonst gewesen ist, denn ich lief vom frühen Morgen an mit geradem Rücken und stolz erhobenem Haupt und einem Lächeln auf meinen Lippen, einem Lächeln, das an dich dachte, von dir gezaubert also, auf meinem Gesicht lag, ein Lächeln wie ein Schleier gewissermaßen, so stolzierte ich an diesen Menschen, mit ihren toten Augen, in ihren toten Seelen und ihren leeren, tumben Körpern vorbei, die an anderen Tagen nur dann eine menschenähnliche Regung auf ihren Gesichtern zeigten, wenn sie mich leiden sahen. Diese toten Augen in den toten Seelen. Sie nennen sich lebendig und mich nennen sie abgehoben und nur dann und wann zeigte sich, seit ich sie meine Kollegen nennen muss, ein Feixen in ihren Gesichtern, ein Feixen aus Gehässigkeit, immer dann, wenn sie etwas in mir zerstören konnten. Heute sah ich nichts, heute glotzten nur leere Gesichter aus ihnen heraus, ganz leer sind sie geblieben, ihre bleichen Gesichter und am Ende, als der Tag vorbei gewesen ist, dieser Büro-Tag, den sie großkotzig Arbeitstag nennen, da hat mich der Eine und die Andere tatsächlich mit einem Gruß verabschiedet. Ich wusste einfach, ganz tief drinnen, dass nun die Zeit des Mobbings vorbei sei, dass meine zurück eroberte Selbstsicherheit, mein Strahlen und mein Glück, ein Glück, das nicht in ihren Händen lag, für alle sichtbar ihrer Kontrolle entzogen blieb, meinen Sieg nach Hause tragen würde. Und dann, später in der U-Bahn, da las ich diese Zeilen von van Gogh und ich dachte, dass das Mobbing doch ganz harmlos gewesen ist, der Job ist doch eigentlich ganz wurst, ich muss mit ihm ein wenig Geld verdienen, wir beide müssen tagtäglich ein wenig Geld verdienen mit irgendwelchen Jobs, damit wir für den Rest des Tages frei für das sind, was wir lieben, also für unsere Zweisamkeit und, jeder für sich, für seine Begabung, seine Kunst, wenn ich es einmal so großkotzig formulieren darf und auch wenn ich heute nicht diese Meute besiegt hätte, dann wäre meine Welt ja doch nicht mit Jenen untergegangen, dann hätte ich mich doch immer noch wegen des Mobbings krankschreiben lassen und irgendetwas neues finden können, aber das, was mich heute hat siegen lassen, das bist allein du gewesen, deine Person in meinem Leben, nein, nein, keine Angst, ich kann ohne dich leben, irgendwie, das habe ich doch vor dir auch getan, aber Gott weiß wie. Mein Gott, wie täte mir das weh, wie würde es mir mein Genick stauchen, wenn du, mit deiner Unwiderstehlichkeit, mit deiner spielerischen Schönheit, mit deiner Wärme, abwandern wolltest. Du ließest mir deinen Sessel natürlich hier, nicht nur, weil er mein Sessel ist, mein Eigentum, sondern weil in diesem Fall, deiner liebenswerten Ansicht nach, jeder Sessel natürlich mein Sessel hätte bleiben dürfen. Schmerz-Minimierung würdest du das nennen. Schmerzminimierung, pah! Du würdest mir alle Übergangshilfen der Welt zugestehen, du würdest mir dazu eine ewige Freundschaft vorschlagen und viele Gespräche, jaja, ich weiß, aber wenn du in den Armen einer anderen Frau glücklicher werden könntest, mit einer Frau also, die dir gewachsen ist, in deiner überbordenden Selbstverständlichkeit, dann würde ich doch zusammenschrumpfen müssen, wie damals, wie in dieser Zeit, in der mich meine Peiniger, obwohl doch allesamt Personen, die ich weder hoch achte, noch schätze oder gar liebe, in ihrem diffusen und behaupteten Menschsein, quälen wollten ...

Ich schweife ab, aber ich will dir jede noch so unwichtige Regung meines Seins mitteilen, du sollst das wissen, du musst es wissen, ich bin doch glücklich, stolz und selbstsicher nur durch dich, nur durch dich als mein Zuhause, als mein Schutzwall, mein Zuhause aus Liebe und Licht und Akzeptanz ...

Weißt du, woran ich heute denken musste, als ich an den Kollegen vorbei schwebte, die bereits in der Kantine darauf warteten, dass ich mich, wie so oft, an einem der freien Plätze zu ihnen an den Tisch wünschen würde, während sie nicht einmal von ihren Tellern aufschauen wollten, ihren graubraunen Tellern aus Klößen und Soße und Fleisch Klopsen, oder ihren gelbgrünen Tellern aus Kartoffelbrei, gedünstetem Gemüse und Soja Talern. Sie dachten, sie könnten wieder einmal ihr hässliches Spiel spielen und ohne aufzusehen, ihre widerwärtigen Köpfe schütteln und murmeln: besetzt. Doch ich fragte sie diesmal nicht nach einem Platz, mir war gar nicht in den Sinn gekommen, nach einem Platz an ihrem Tisch zu fragen, ich schritt meinen Weg an ihnen vorbei, grazil mein Tablett balancierend, lief einen Catwalk in den hintersten Teil der Kantine, nur weil ich meine Erinnerung an dich und die vergangenen Stunden mit dir, nicht mit ihnen teilen, nicht von ihnen verschandeln lassen wollte. Ich schritt also lächelnd, so als sähe ich sie gar nicht (ich sah sie wirklich nicht oder nur kaum), schnurstracks zu einem kleinen, freien Tisch, einem nackten, kalten Tischlein, direkt an einem Fenster gelegen, du musst wissen, die Kantine liegt im 9ten Stock, du kennst ja das Gebäude, und vom 9ten Stock schaut man nur in die Weite, in Richtung des Kanals, ich sah also nur blauen Himmel mit weißen Wölkchen und in der Ferne diesen silbrig schillernden Streifen aus Wasser und ich fühlte mich so ganz erleichtert und richtig, in dem Wissen, dass ich nur hier, allein mit dir im Kopf, sitzen möchte und lächelte in mich hinein, (wie du jetzt die ganze Zeit, während ich dir das erzähle) und fühlte die neue Freiheit, die sich nun auftat, die sich nun eindeutig aufgetan hatte. Das alles verdanke ich dir und deinen ausgebreiteten Armen, wie sie auf meinen ausgebreiteten Armen lagen, ineinander verdreht, so, wie sich unsere Körper umeinandergeschlungen hatten, zuvor, weil du mich mit dir bedeckt hast, deinen Körper über den Meinen gelegt hast, so, wie ich es liebe, wie du weißt, dass ich es mag. Bauch an Bauch, Arm auf Arm, deine Stirn über der Meinigen schwebend, dein Mund über meinen Augen, du in mir, nein, nein, gar nicht devotes Frauchen, nein, ganz zugedeckt nur, ganz bedeckt, ganz geschützt im WIR, so, wie deine Hände in meine Hände verschlungen, so taten unsere Körper das auch, nach dem Vorbild unserer Hände und du sagtest, komm, wir fliegen eine kleine oder große Runde über den Dächern und ich sagte, hallo, ich will gerne noch höher hinaus, hoch über den Wolken fliegen mit dir und du sagtest, da ist aber schon die Sonne zu Hause, sie wird uns ziemlich grell in den Rücken stechen und ich sagte, oh, aber wo sollen wir denn nun hin, die Leute werden mit ihren  Unterarmen ein Kissen auf ihrem Fensterbrett bilden, dieser Yogaübung des Proletariats sozusagen, sich da hinein entspannen und die Köpfe entschlackend nach uns drehen, das ist doch furchtbar, das will ich doch nicht sein, ein Objekt der Beweglichkeit von Hälsen. Dein Kichern ist kitzelnd gewesen, doch du fandest den Ernst zurück, den gespielten Ernst in dieser Innigkeit, in der Umarmung unserer Körper, die eigentlich nur ganz gewöhnlich auf dem Bett lagen, aber nun eben doch eine Runde miteinander fliegen wollten und so versteckten wir uns rasch in den Wolken, diesen warmen, weichen Wolken, zwischen der Sonne und den Menschen, mit ihren verdrehten Hälsen ...

Dieses Bild habe ich mit mir in dieses unsägliche, unwichtige Büro genommen und in den Wolken ist der Schutz gelegen, der erst abgefallen ist, als ich in die U-Bahn gestiegen bin. Was wäre wenn ... hat es hinter meinen Schläfen zu pochen begonnen, nein, nein, bitte, nicht schon wieder in dich hinein lächeln, nein, es hat wirklich gepocht in meinem Kopf, fast wie ein Schmerz, so stark, aber es ist eben nur dieser Gedanke gewesen, was sein würde, mit mir, wenn du eines Tages nicht mehr willst, wenn du fort musst, wenn es dich wegtreibt von mir, was dann werden wird aus mir, mit diesem Schmerz, der dann wirklich ein Schmerz sein würde, ein gellender Schmerz, sozusagen, ein alles heimsuchender und mit  sich nehmender Schmerz, auch wenn der Sessel noch vor mir stünde, so, als warte er auf deine Heimkehr. Ich zittere am ganzen Körper, siehst du, ich zittere nun, denn ich denke, es ist wichtig, dass du das alles weißt, damit du das verstehen kannst, wenn ich dir nun sage, dass ich das so nicht ertragen kann und dass es viel besser ist, wenn wir uns nun verabschieden, wenn sich unsere Wege nun trennen, wenn wir die Chance nutzen, die sich uns bietet, mit dieser Trennung, die durch eine vernünftige Überlegung zustande gekommen ist und nicht, weil das bleierne Schicksal gesprochen hat, dieses Blei, das stets über den Köpfen der Liebenden hängt, auch wenn sie sich in Wolken betten. Ich schweige endlich, ermattet, angespannt und vor mich hinschauend, schauend zu dir, der nun die Last meiner Worte zu tragen hat und es erstaunt mich nicht, dass du mich nun bittest, lächelnd bittest, endlich auch einmal etwas sagen zu dürfen. Und du sagst, ich habe uns Kinokarten für heute Abend besorgt. Und ich frage, für welchen Film hast du uns Kinokarten besorgt und du antwortest, für irgendwas von Lars von Trier. Und, Oh, sage ich, das wird bestimmt ziemlich skurril, was wir in seinem Film zu sehen bekommen. Und so wird dieser Abend, ein Abend mit dir und mit mir, vermutlich doch noch ganz famos.

  2022



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