Der wunderbare Buchbeginn von ...

 

 „#BOOK!“


Bon Boncuk, der Kater, vor sich das Cover von #BOOK!

Kaputt – Vorgeplänkel der allwissenden Erzählstimme

Warum nur, entfährt es mir unwillkürlich, mit offensiv nach vorne gerichtetem Blick, in die nun folgende Geschichte hinein, warum nur, frage ich mich also, seid ihr nur alle so unglaublich kaputt?
Ist es der Kapitalismus, das Patriarchat, der Rechtsruck, der Klimakanzler, die Klimakrise, der Klima-Aktivist, der postfeministische Feminismus, der Islam oder der Rassismus, die Antifa-Bewegung, der Gender-Spitzel, der Gender-Wahn, das Gender-Verbot oder die Gender-Vorschrift? Wer ist es gewesen, der Euch das tat, die ihr euch im Elend suhlt, um Vergebung winselt und doch nur Leere in euch spürt, die ihr dann wieder, mit einem fanatisch zur Religion und Ideologie erhobenem Zeigefinger, aus Eurem Corona-verseuchten Brustkorb herauszukratzen sucht.
Warum nur, warum nur, warum, ist diese ganze Chose so krumm, so verbogen, so verlogen, so durch und durch kaputt?
 Wenn der gute, alte Onkel Freud noch am Leben wäre, würde er noch immer seine Theorie vom verletzten Individuum aufrechterhalten? Würde er noch immer das Über-Ich zum Schuldigen gesprochen haben, und sich auf die Suche nach dem Selbst im Einzelnen machen oder würde er inzwischen einen kollektiven Wahnsinn attestieren, der unheilbar in die maroden Abgründe eines post-post-paradiesischen Ur-Traumas blicken lässt, in dessen Sumpf der Mensch, die Menschheit, dieser selbsternannte Superlativ an zweibeinigem Tier, nun nach und nach verschwinden muss? Ein langsamer Tod, ein Tod durch Ersticken, ersticken an sich selbst, am geschaffenen Morast, am Sein zum Untergang einer vollständig kaputten Zivilisation, lange schon nicht mehr zivilisiert, sondern verroht, versteinert, kaputt!
Würde ich twittern, so würde ich diesen (zugegeben etwas plumpen) Tweet absetzen:

„Warum sind wir nur alle so unglaublich kaputt!“

Und believe me, es würden tausende und abertausende, wenn nicht gar 1 Million Likes daruntergesetzt werden und tausende und abertausende Kommentare, in denen ich und mein Tweet beschimpft, gelobt, geküsst, gekitzelt, verdammt und in jedem Fall irgendeiner Richtung, einer direkten Verbindung zu irgendeiner Gruppierung, unter Lästern und unter Zustimmung, zugeordnet werden. So kaputt, wie sie alle sind, diese Menschlein, die wie Fischlein in ihrer eigenen Suppe schwimmen, nein, zappeln, im Versuch sich frei zu machen, sich freischwimmen zu können, so unfähig sind sie geworden, nicht in eilig gezimmerten Kategorien zu denken, in Systemen, in Schubladen, denn ein schillerndes, changierendes, farblich ineinander verlaufendes Denken scheuen sie inzwischen, wie der Teufel das Weihwasser scheut, das vermögen sie sich nicht mehr vorzustellen, diese Komplexität an Schattierungen, das überfordert sie, in dieser undurchschaubaren Welt, dieser hyperkomplexen Angelegenheit von Welt, da brauchen sie Halt und den finden sie nur in dieser Schablone, in denen nun der Kopf eines jeden Einzelnen steckt, wie der Kopf des Missetäters, in den Zeiten des sogenannten dunklen Mittelalters der Menschheit, in der Klemme des Schandholz steckte.
 So, nun aber genug geschimpft. Schauen wir lieber, dass unsere Geschichte beginnt. Dazu brauchen wir auch heute noch manchmal Protagonisten. Und die finden wir im echten Leben. Also auf einer Social Media Plattform. Und da ist auch schon der Account, dessen Name uns vielversprechend erscheint: Klara Goldwater!

Klara Goldwater (geborene Schwesig)
Danke. Ich übernehme gerne den Staffelstab. Oder ist das eine Challenge? KEINE CHALLENGES, bitte sehr. „Keine Challenges“, so steht das auch auf meinem Profil, auf dem Profil zu meinem Account. „No Challenges, Zeit ist zu kostbar!“, steht da. Und weiter: „Like selten, retweete kaum, Kommentare werden nur bei Dringlichkeit re-kommentiert“. Dann folgt ein Verweis auf meine Autorenseite „Klaras Gedanken“. Das reicht, das muss reichen. Wenn sie alles in Häppchen aufbereitet brauchen, so in klitzekleine Mikro-Text-Schnipsel verpackt, dann sind sie hier eben falsch. Das isn`t me. Ich bin Prosa. Ausufernde Prosa. Nein, nicht ausufernd, aber eben so lang, so lang wie ein Text zu sein hat, damit er richtig ist. Ich hasse Mikrotexte, ich hasse Challenges. Aber hier, in diesem Buch namens „#BOOK!“ (unter uns, was soll dieser Titel?) übernehme ich sehr gerne meinen Part, meinen zugewiesenen Part, meine von irgendeinem anderen Autor für mich ausgewählte Funktion. Er kann es nicht. Jener Autor. Das ist schnell zu merken. Er versteckt sich hinter seiner ironischen Attitude. Eine Schutzfunktion, wohl wahr, aber auch so ein alberner Versuch, sich hinter dem allwissenden Ego der Erzählstimme zu verstecken, zu verstellen, hätte ich fast geschrieben und lasse das „fast“ und das „hätte“ nun ausradieren, von der Löschtaste meines Computers eliminieren und den Satz ganz ohne fast und ohne Konjunktiv irrealis (dafür mit einem „habe“) so stehen, denn er stimmt ja, dieser Satz, man muss sich definieren, irgendwo, irgendwie, sonst gibt es keinen Halt. So ist das wohl mit mir, mit uns, den Menschen und doch muss dieser Umstand nicht sofort ins Lächerliche hinein bugsiert werden. Er, dieser ominöse Autor, ist natürlich, das spüre ich, einer der Allerkaputtesten von uns.
„Du bist so hart geworden.“ Das sagt meine Freundin immer zu mir. Und ich sage ein entschiedenes NEIN, nein, so ist das nicht, nein, nein oder zumindest Jain. Auch ich habe das Recht auf eine schützende Schale. Ich habe doch Gründe dafür. Und so erwidere ich dann in einem Nachsatz, lächelnd, mich öffnend: „Ich bewege mich langsam aus der Härte heraus, nachdem ich mich langsam in die Härte hineingerettet habe.“ Und dann blicke ich ihr vielsagend in die Augen und sie verstummt. Keine weiß besser als sie, was ich meine, denn sie ist damals die erste gewesen, die ich über das Geschehen, den Bruch, den Eindringling informiert hatte. Sie weiß um mein damaliges Schwarz. Sie weiß um seine Kohle-Augen. Sie weiß um seine Strategie einer vollkommenen Vernichtung meines alten Seins. Ich bin geworden, ich werde weiter, alles fließt. Auf ein Ende zu. Denke ich nun. Auf ein Ende zu, das wieder einen Anfangs-Akkord schlägt. Das Ende des einen Abschnitts übergibt den Staffelstab an die neue Strecke, die bei START beginnt. Ich war Psychotherapeutin. Ich bin nun Bloggerin. Ich war Frau. Ich bin nun einsam. Aber: Ich sehe in ein Morgenrot hinein. Und die Farbe ROT darf wieder frei sein von Blut. Das SCHWARZ darf samtene Wärme in sich tragen, diese Wärme der darin befindlichen, unendlichen Anzahl an Farben. Mein SCHWARZ ist nicht mehr SEIN Schwarz. Das ist ein Prozess gewesen, ein schmerzhafter, langer Prozess diverser Häutungen. Und zwischen den Häutungen, habe ich meine zu dünn gewordene Haut, ganz ungeschützt und hypersensibilisiert aushalten müssen, ertragen müssen wie einen Fluch, wie ein Restrudiment dieser plötzlich geschlagenen Wunde mythischen Ausmaßes ...

 


© 2024 Annette van den Bergh

Dieser Auszug aus #BOOK! wurde in der Juni-Textmanege veröffentlicht ->

Kommentare

  1. Ein selbstbewusster Anfang, rasches Eintauchen in die Leben der beiden Protagonisten, dazwischen poetische, amüsante und melancholische Miniaturen: Ein extravagantes und schönes Buch. Kulturkritik trifft auf spezielle Persönlichkeiten. Gelungen!

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